Betroffene
Institut für Sportwissenschaft – Stiftung Universität Hildesheim
Ein Bericht von Prof. Dr. Nico Kurpiers
Schneesport in der Rehabilitation krebskranker Kinder, Pitztal 2024
Dass Sport für die Gesundheit förderlich ist, gehört heutzutage zum Allgemeinwissen und dass man ihn sogar als Therapie nutzen kann für Zivilisationskrankheiten und auch Krebs, ist mittlerweile ebenfalls bekannt. Eine Outdoor-Sportart, wie den alpinen Skilauf, als einwöchige Rehabilitationsmaßnahme auszuschreiben, sorgt oft für großes Staunen. Das ist nachvollziehbar, allerdings gilt das Staunen unter den Teilnehmenden und auch Betreuenden nach der Woche nicht mehr der Tatsache, dass Skifahren überhaupt in der Nachsorge nach einer Krebserkrankung möglich ist, sondern eher den vielen Facetten dieser Woche, den Erlebnissen, Eindrücken, Bewegungserfahrungen und sozialen Kontakten und wie diese auf jede*n wirken.
Am Samstag, den 16.03.2024 fuhr der Bus morgens von der MHH in Hannover ab. Gegen 16 Uhr erreichte er das Ziel in Jerzens am Hochzeiger, das Haus Sonneck. Nach dem typischen anfänglichen Trubel beim Zimmer beziehen, Auspacken, das Haus kennenlernen und auch schon mal die nähere Umgebung erkunden, konnten die Familien im benachbarten Skigeschäft schon ihr Leihmaterial anprobieren und mitnehmen. In der Zwischenzeit hat das Betreuungsteam in unserer Selbstversorgungsküche das erste Abendessen zubereitet. Lecker und gesellig gab es die ersten Kennenlernmomente. Nach dem Abendessen wurde zunächst der Ablauf dieser Woche erläutert mit gemeinsamen Essenszeiten, Einteilung der Küchendienste und Skigruppen, Skizeiten, Abendprogrammen, Zuständigkeiten etc. Anschließend fand noch ein kleiner Kennenlernabend statt als Einstieg in die gemeinsamen Abendaktivitäten und es folgte die erste von insgesamt sieben Gute-Nacht-Geschichten, die es ab jetzt jeden Abend als Angebot für alle Kinder als Tagesabschluss gab.
Der erste Skitag begann mit strahlendem Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen. Nach dem spaßbetonten Aufwärmprogramm zur gemeinsamen Aktivierung ging es in die Skigruppen, die jeweils mit zwei Personen betreut wurden. Dank der gut ausgebildeten und hochmotivierten Betreuer*innen und einer angemessenen Herangehensweise (www.ein-ski-methodik.de) konnten direkt die ersten Erfolge verzeichnet werden und es gelang, die vielen Anfänger*innen schnell zu einer Grobform des parallelen Skifahrens zu bringen. Das sollte in den nächsten Tagen immer weiter ausgebaut werden, so dass alle sehr zügig auch den Rest des Skigebiets kennenlernen konnten.
Der Skiunterricht verlief grundsätzlich so, dass Erwachsene und Kinder getrennt betreut wurden, um Ablenkungen zu verringern. Zwischen den zwei Ski-Einheiten fand eine gemeinsame Mittagspause in unserem Haus statt, das direkt über die Piste erreichbar war. Die Nachmittagseinheit endete in der Regel gegen 15 Uhr. So blieb genügend Zeit zur Verfügung, um sich zu erholen, zu spielen, in die Sauna zu gehen, zu malen etc. Einige nahmen sogar die Möglichkeit wahr, ins eiskalte Wasser des nahgelegenen Bergsees zu springen.
Die täglich wechselnden Kochgruppen bereiteten ab ca. 17 Uhr das Essen für alle zu. Parallel kam das Team zusammen, um den Tag zu reflektieren und ggf. Anpassungen für die nächsten Tage vorzunehmen, methodische Kniffe zu besprechen, die Abende weiter zu planen und Gespräche über die Tagesaktualitäten zu führen. Das Abendprogramm bestand dann beispielsweise aus Gesellschaftsspielen, Fackelwanderung, Skitaufe, Vorführungen von den Betreuenden, kleinen Battles (‚Klein gegen Groß‘) oder auch mal aus einem ruhigen Zusammensitzen mit individuellen Gesprächen, die in den Evaluationen von allen als besonders wertvoll und gewinnbringend empfunden wurden.
Die Abfahrt erfolgte am Samstag, den 23.03.2024 morgens nach dem gemeinsamen Hausputz, sodass alle wohlbehalten gegen Abend wieder in Hannover ankamen und die Woche sacken und wirken lassen konnten. Nach der Fahrt ist vor der Fahrt und so laufen bereits jetzt die Planungen für die Ausbildung des neuen Teams, die Anmietung der Unterkunft für 2025 und es müssen wie immer weiterhin Anträge geschrieben werden an potenzielle Unterstützer.
Neben dem sportlichen Schwerpunkt in der Natur an der frischen Luft kann man den sozialen Zusammenhalt und das ausgeprägte Wir-Gefühl als Besonderheit der Woche hervorheben. Das für viele neue Bewegungserlebnis in der Berglandschaft allein kann schon als etwas Besonderes bezeichnet werden. Hinzu kommen dann noch das Gruppenerlebnis und die beflügelnden individuellen Erfolge. Zieht man die Statements der Teilnehmenden und die Eindrücke des Teams hinzu, sind wohl Unbeschwertheit vereinbar mit Tiefgang, Optimismus, Zuversicht, Selbstbewusstsein, Hoffnung, Vertrauen in den eigenen Körper, Loslassen, neue Freundschaften knüpfen und alte pflegen und eine generell positive Einstellung zum eigenen Leben die Begleiterscheinungen, die aus vielen verschiedenen ‚Magic Moments‘ resultieren. Was genau diese Momente ausmacht, wie sich das anfühlt und wie das für jede*n einzelne*n in Erinnerung bleiben wird, können tatsächlich nur diejenigen nachvollziehen, die dabei waren.
Eine wissenschaftliche Studie, in der es um ‚Heart Rate Monitoring, bewegungsinduziertes Wohlbefinden und Griffkraft‘ ging, als Indikatoren für die Belastungsintensität sowie physische und psychische Leistungsfähigkeit, wurde ebenfalls begleitend erfolgreich durchgeführt und wird voraussichtlich zeitnah publiziert. Das Konzept der Reha-Skifahrt ist mittlerweile veröffentlicht und kann unter Kurpiers (2024) nachgelesen werden. Weitere wissenschaftliche Ergebnisse zur Fahrt sind in den Quellen angegeben (De Lazzari et al., 2022; Kurpiers et al., 2019; Kurpiers et al., 2023; Kurpiers et al., 2018).
Ich bedanke mich im Namen meines Teams und stellvertretend für alle Teilnehmer*innen recht herzlich für die wertvolle Förderung durch Menschen für Kinder e.V., die Vortour der Hoffnung e.V., die Bürgerstiftung Hildesheim e.V., Inner Wheel Hildesheim e.V., die VHV Stiftung und den Verein für krebskranke Kinder Hannover e.V. sowie zahlreiche private Unterstützer und Förderer.
Ein besonderer Dank geht an mein großartiges Team, bestehend aus Sportstudierenden der Universität Hildesheim, ehemaligen Studierenden, die bereits als Lehrkräfte, Therapeut*innen oder Wissenschaftler*innen arbeiten und dem Projekt treu geblieben sind und Onkolog*innen aus der MHH. Ohne euch und ohne die finanzielle Unterstützung der Förderer wäre dieses Projekt nicht durchführbar
Es bereitet uns große Freude, die Familien wieder glücklich und „zurück im Leben“ zu sehen und bedanken uns auch für ein sehr intensives, vertrauensvolles und schönes Miteinander.
Bei Interesse oder Fragen stehe ich gerne zur Verfügung unter kurpiers@uni-hildesheim.de.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Nico Kurpiers
Bewegungswissenschaften und Gesundheitssport
Institut für Sportwissenschaft
Universität Hildesheim